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KOLUMNE
TEXT: IMKE ROSEBROCK
MAL WIEDER
TOLLE AUSSICHTEN!
MANCHMAL BRAUCHT MAN ETWAS LÄNGER, UM DAS ALLTÄGLICHE SCHÄTZEN ZU LERNEN,
HAT UNSERE AUTORIN FESTGESTELLT. UND SCHAUT HEUTE WIEDER AUS DEM BAHNFENSTER …
Zugegeben, die Zeiten des Homeoffice Aufkommen der Eisenbahn vor mehr
und Homeschoolings waren auch ganz als 150 Jahren hat sich unser Gefühl
praktisch: raus aus dem Bett, vom Bad für Zeit und Raum ziemlich verändert.
zum Kleiderschrank, noch schnell zur Wo bisher die Kutsche langsam durch
Kaffeemaschine und dann direkt an die Landschaft zockelte und Entfer-
den Schreibtisch – und das in weniger nungen noch in Tagesreisen angegeben
als einer halben Stunde! Mancher Teen- wurden, sausen nun die Passagiere in
ager – ich tu jetzt mal so, als würde ich rasantem Tempo von A nach B. Diese
hier niemanden persönlich ansprech- Beschleunigung großer Menschenmas-
en – soll diese Zeit ja noch deutlich un- sen hat uns nicht nur die Zeitzonen
terboten haben. Klar, wenn 30 Kids in beschert und für allerlei Gemaule bei
der Leitung sind, bleibt die Videofunk- ich mich nun zurück und genieße – Fortbewegungstraditionalisten gesorgt,
tion ohnehin aus. Und ja, dann ist es und zwar den Ausblick. Auf vielen sondern auch eine neue Sicht auf die
auch wurscht, wenn man ungekämmt Strecken ist das ohnehin Pflicht – im Dinge ermöglicht: Alles, was zwischen
und im Schlafanzug Mathe paukt … Murgtal etwa oder entlang der Alb. Start- und Zielpunkt an unserem Fens-
„Sieht doch eh keiner, Mama!“ Okay, ein Blick aus dem Fenster ist ter vorbeifliegt, wird zu einem großen
nicht immer und überall so schön – Panorama. Wie praktisch, wenn das
Sehen und gesehen werden. Oder hier eine Straßenbaustelle, dort ein Gehirn dabei die unschönen Details
doch lieber was Neues sehen? Das verrumpelter Güterbahnhof, architek- einfach ausblenden kann …
wäre doch mal wieder was! Die lan- tonische Verirrungen, in die Jahre ge-
gen Monate, in denen der Blick immer kommene Kleingartenkolonien … Doch So was funktioniert im Homeoffice na-
wieder nur das allzu Bekannte streif- nach so ’ner Pandemie kann selbst das türlich nicht. Oder doch? Wie könnte
te (der Mann am Laptop, die Kinder verstörendste Ensemble zum Quell all- man sich einen solchen Panorama-
am Tablet, die Kollegen auf dem Bild- zu interessanter visueller Eindrücke Blick also auch nach Hause holen, um
schirm), haben die Seele mürbe und werden. Ungeliebtes auszublenden? Vielleicht
Illustration: www.stock.adobe.com/Good Studio
die Augen hungrig gemacht. Und so, muss man einfach nur noch viel, viel
wo ich früher in der Bahn mit müden Gewusst? Wenn man nur schnell vor- schneller vom Bett zum Bad und durch
Augen auf mein Smartphone starrend beirauscht, wird sowieso alles irgend- die Küche flitzen. Oder halt doch ein-
meine Pendelstrecke absolvierte, lehne wie schön. Ist tatsächlich so. Seit dem fach mal wieder aufräumen …
UNSER NÄCHSTES HeFT ERSCHeINT AM 26. OKTOBER 2021
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