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KOLUMNE
TEXT: NINA WOLF
NÄCHSTER HALT:
HERABSCHAUENDER HUND!
STRESS LASS NACH, WÜNSCHT SICH UNSERE AUTORIN MANCHMAL. UMSO WICHTIGER IST
DIE TÄGLICHE SELFCARE-ROUTINE. IN DER STRASSENBAHN KLAPPT DAS ERSTAUNLICH GUT.
Neulich war einer dieser Tage: das oder Meditation. 15 Minuten? So lange
Wetter sommerlich-stickig, die Luft sitze ich doch in der Straßenbahn! Ich
steht im Büro. Terminchaos, Hektik. fürchte aber, dass es meinen Sitznach-
Dann, zack, mit dem Ellenbogen die barn etwas irritieren würde, wenn ich
Kaffeetasse umgestoßen. Das ver- jetzt „Ommm“ vor mich hin brumme.
schwendete Koffeingetränk, dessen Also doch Yoga? Eine Matte würde gut
Energie ich eigentlich so dringend ge- in den Gang passen. Ob ich den herab-
braucht hätte, färbt die Ränder der schauenden Hund zwischen zwei Hal-
wichtigen Unterlagen unappetitlich testellen einbauen kann? Ich fürchte,
bräunlich ein. Ich will fluchen. Beim dass mein Gleichgewichtssinn in der
Mittagessen landet dann auch noch ein fahrenden Bahn versagen würde.
großes Tomatenstückchen auf meinem Tipp Nummer zwei: einen Ausflug pla-
weißen Shirt und hinterlässt einen nen. Vielleicht fahre ich am Wochen-
großen, gut sichtbaren Fleck. Na toll! Sitz. 15 Minuten Fahrt trennen mich ende nach Ettlingen? Schließlich ist
Tomatenfleckverdeckend und schwit- noch von meinem Sofa. Bis dahin kann das beschauliche Städtchen mit der
zend fühlt es sich an, als wäre der gan- ich die Zeit aber auch sinnvoll nutzen. Bahn schnell erreicht.
ze Tag ein Spießroutenlauf. Noch mal in die Mails schauen? Diesen Tipp Nummer drei: Handypause. Ein-
einen Podcast hören, den die Kollegin fach mal weniger scrollen. Ich stecke
Glücklicherweise: Selbst einer solcher empfohlen hat? Etwas anderes ploppt das Handy in die Tasche.
Tage ist auch mal vorbei. Der Feier- in meiner Nachrichten-App auf: „Drei
abend kommt trotzdem. „Der Weg ist Tipps für mehr Selfcare im stressigen Die Bahnsitze sind ja irgendwie auch
das Ziel“, sagt man ja so flapsig. Und Alltag!“ Selfcare bedeutet nichts an- fast schon sofaähnlich. Ich beobachte
das Ziel ist heute klar definiert. Das ge- deres als Selbstfürsorge. Sich mal be- meinen Sitznachbarn. Er sieht ganz
mütliche Sofa vor dem inneren Auge wusst Pausen zu gönnen. Nach dem entspannt aus. Beinahe als würde er
Illustration: www.stock.adobe.com/olha_oleskova
will ich die letzte Etappe des Stress- heutigen Tag kann ich solche Ratschlä- träumen. Ob er auch Selfcare macht?
tages hinter mich bringen und mache ge aber auch gut gebrauchen. Höre ich da ein leises „Ommm“? Ich
mich auf den Heimweg. Tipp Nummer eins: sich jeden Tag Zeit folge seinem Blick und stelle fest: Der
Also flott zur Straßenbahn. Mit einem für ein Achtsamkeitsritual zu nehmen. Gute meditiert ja gar nicht. Er starrt
erleichterten Seufzer sinke ich in den 15 Minuten würden reichen, für Yoga nur auf meinen Tomatenfleck.
UNSER NÄCHSTES HeFT ERSCHeINT AM 25. OKTOBER 2022
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